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Alles Schrott? Oder: Ich fühle, also bin ich?

Valerie Stephani
Das neue Ich

Was ist glatt, was rau? Was lässt sich biegen, was gibt sich starr? Was wirkt warm, was kalt? Sich intensiv mit Materialien auseinanderzusetzen gehörte untrennbar zur Bauhauslehre dazu. 

So beschäftigten sich die Studierenden von Anfang an, beginnend im Vorkurs, spielerisch mit Holz, Stein, Metall und sonstigen Stoffen. Sie schärften daran ihre Sinne: Wie sieht welcher Stoff aus und wie fühlt er sich an? Die Studierenden sortierten Materialien zum Beispiel von weich zu hart, von warm zu kalt, von locker zu fest usw.. So sollten sie unter anderem erfahren, welche Materialien sie selbst in ihrem gestalterischen Schaffen am meisten anregten.

Joannes Itten machte den Anfang

Bereits der erste Leiter des Vorkurses, der Schweizer Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten, hatte diese Studien eingeführt. Er setze dabei auf freies Komponieren mit verschiedenem Material, das man sich auf den Weimarer Schrottplätzen suchte. Seine beiden Nachfolger László Moholy-Nagy sowie Josef Albers setzten dies fort, strukturierten die Arbeiten aber systematischer und es kamen auch immer mehr Industrieobjekte/-Materialien zum Einsatz, vor allem unter Albers. Er ließ Materialien nicht einfach nur zusammenstellen und sinnlich untersuchen. Vielmehr ließ er seine Studierenden gezielt mit den Stoffen experimentieren, um deren Eigenschaften und Grenzen auszutesten: Man untersuchte, wie stabil die Materialien sind, wie tragfähig, wie fest oder wie belastbar – selbst für Papier. 

Solche Versuche fanden auch Werkstatt-übergreifend statt. So wurde in der Weberei etwa getestet, wie sich Metalle und Kunststoffe in Weberzeugnissen verhalten. 

Zeit für den Versuch

Die Arbeiten am Bauhaus fügten sich in die Zeit des beginnenden 20 Jahrhunderts: Auch die wachsende Industrie experimentierte viel mit verschiedenen Materialien. Da war zum Beispiel das sogenannte Triolin. Der neuartige Kunststoff aus Nitrocellulose, Füllstoffen und Gelatinierungsmitteln, aufgebracht auf Fasern aus Hanf ersetzte zum Beispiel weithin das teure Linoleum als Bodenbelag. Überall wurde das Material beworben. Auch die Bauhäusler ließen es im Haus Am Horn und im Bauhaus Dessau verbauen. Durchsetzen konnte sich Triolin allerdings nicht: Es ist giftig  und entflammt sehr leicht – ungut für Wohnungen und Häuser.

Und nun?

Und wie gehen wir in unserer Zeit der Digitalisierung mit Materialien um und damit, wie wir sie wahrnehmen? Wird heute alles entmaterialisiert durch Smartphones und Touchscreens? Also weg vom Material und hin zur Bildschirmoberfläche? Nicht nur. Wir wenden uns auch klar wieder zum Material hin und „wollen gern etwas mit den Händen machen“. Das zeigt sich zum Beispiel in einer ausgeprägten Do-It-Yourself-Bewegung oder auch in der Strömung des Urban Gardening, in der auf kleinem Raum eine gärtnerische Nutzung im städtischen Raum stattfindet.

»Die Arbeiten waren sehr unterschiedlich. Die Mädchen brachten kleine, zierliche, etwa handgroße Gebilde. Einige Kerle hatten Brocken von einem Meter Höhe. Oft waren es richtige Schrotthaufen, verrußt und verrostet. Einige schleppten Einzelteile, wie Holzscheite, Ofenrohre, Draht, Glas usw. herein und bauten sie in der Klasse zusammen. Itten ließ, wie immer, die Studierenden selbst entscheiden, welches die besten Arbeiten waren. Ganz eindeutig waren alle Studierenden dafür, daß Mirkin, ein Pole, der Sieger sei. Ich sehe das ‚Pferd‘ noch heute vor mir. Es war eine Holzbohle, teils glatt, teils faserig, darauf ein alter Petroleumlampenzylinder, durch das eine rostige Säge gesteckt war, die in einer Spirale endete.«

Alfred Arndt, aus Bauhaus-Archiv: Bauhaus. 1919–1933, 2013, Köln.

Diskutieren

  • Welche Materialien tauchen in unserer Umgebung besonders häufig auf? 
  • Wie verändert Digitalisierung unser Empfinden, unser Sinnlichkeit?
  • Welche Auswirkungen/Bedeutung hat Sinnlichkeit fürs Begreifen und Lernen?